Nach Überall

Eine Erzählung.

Wenn man Kind ist, gibt es drei Gründe, sich zu verstecken. Weil man Angst hat. Weil man spielt, dass jemand anderes einen suchen muss. Weil man von allem die Nase voll hat. Bei ersterem und letzterem scheint es meist überall besser zu sein, als da, wo man gerade ist. Aber weil man nicht einfach nach Überall gehen kann, denkt man sich nach Überall. Und sich nach Überall zu denken geht am besten an dunklen Orten. Unter einem Bett, auf dem eine extra breite Überdecke liegt. In einem alten Kleiderschrank, dessen Holz leise knarzt. Auf dem Dachboden. Unter einer Treppe, nachdem man die Spinnen verscheucht hat. Hinter schweren Gardinen, unter denen nur noch die Zehen hervorschauen. Überall ist ein wunderbarer Ort.

In meiner Kindheit habe ich ihn von meinem mit Tüchern verhangenen Hochbett aus bereist. Ich besuchte Ritter in ihren alten Burgen, schwamm mit Meerjungfrauen am Meeresgrund, kochte mit Hexen im tiefen Wald und wohnte in Häusern hoch über den Wolken.

Wenn man erwachsen wird, ist das Überall nicht mehr derselbe Ort. Die Verbindung wird schlechter, wie wenn man tief im Wald versucht zu telefonieren. Man hört noch ein paar einzelne, meist undeutliche, Wörter, bis die Leitung still wird und die Ansage „Ihre Verbindung wird gehalten.“ ausbleibt. Ich würde mich gerne wieder mit Überall verbinden lassen und jedes Wort klar hören können. Denn nur weil man erwachsen ist, bedeutet das nicht, dass man keine Angst mehr hat oder an manchen Tagen nicht von allem die Nase voll hat. Ich habe oft Angst oder die Nase voll. Und was wäre in so einer Situation ermutigender als ein paar Ritter, die dich an die Hand nehmen?