Nostalgie in der Gestalung

Über Anfragen für eine Gestaltung, die nostalgischen Charakter haben soll, freue ich mich ganz besonders. Ein Busticket, das symbolisch und als kleine Aufmerksamkeit dienen sollte, hat sich da natürlich angeboten. Wer schaut sich nicht gerne Dampflokomotiven, britische Doppeldeckerbusse oder retro Nahverkehrswerbungen an, um sich im romantisierten Fernweh zu baden?

Hier ein Einblick in den Gestaltungsprozess:

 

Und die Wahl fiel auf:

Der Wind in den Weiden

Eines meiner Lieblingskinderbücher ist „Der Wind in den Weiden“ von Kenneth Grahame, das 1908 erschienen ist. Eine so zauberhafte Geschichte mit britischem Charme und vielseitigen Charakteren. Dieses zeitlose Abenteuer hat bereits unübertreffliche Originalillustrationen, aber im Rahmen einer Social Media Veranstaltung habe ich mich daran illustrativ ausprobiert, was mir große Freude gemacht hat.

Von Entzückung und Geschichten

Wenn man über einen Antikmarkt schlendert, wird man von den verschiedensten Entzückungslauten umgeben, als würde man einen Bauernhof besichtigen, auf dem überall frisch geborene Ferkelchen herumrennen. Die geblümten Milchkännchen, verzierten Zigarettendosen, bunten Hosenträger oder bestickten Spitzendeckchen bringen uns mit ihren verschwiegenen Geschichten zum Staunen, als würden sie mit weichen Erzählstimmen alles über sich erzählen, so wie früher der Großvater am Bett die Märchen vorgelesen hat. Sie bewegen uns mit ihren Geschichten. Die einen flüstern, die anderen tönen, manche raunen, andere wispern. Sie erzählen von Ländern, die sie bereist haben. Von Häusern, die sie bewohnt haben. Von Menschen, von denen sie gekauft, gepflegt und bewahrt wurden.

Aber es ist nicht nur ihre Vergangenheit, die uns so bewegt. Es ist auch ihr Auftreten. Die Dinge von früher sind uns so nah, weil ihre Gestaltung so nahbar erscheint. Es scheint eine Umsicht und Liebenswürdigkeit in ihren Formen, Verzierungen und Materialien zu liegen, die wir in den heutigen Dingen vermissen. Wenn ich vor dem Regal im Supermarkt stehe, erzählen die Produkte mir keine Geschichte. Sie sind dafür da gekauft, benutzt und weggeworfen zu werden. Heute berührt mich keine Kaffeedose mehr so sehr, dass ich sie mir als Dekoration auf die Kommode stelle.

Die Gestaltung, die wir als nostalgisch empfinden, ist eine ganz besondere, die heute von Funktionalität und Minimalismus überschattet und in ihrer dunklen Ecke übersehen wird. Aber wenn man zufällig eine Taschenlampe dabei hat, kann man sich auf Etwas freuen, das wie gemacht dafür ist, auf Kommoden seinen Platz zu finden und uns jeden Tag eine Geschichte zuzuflüstern.

 

Der richtige Glanz

Eine Erzählung.

Es war still im Raum. Es war der erste Advent. Die wenigen Menschen, die verstreut an den Tischen saßen, schauten mit müden Augen zu uns auf die Bühne, so müde, als hätte unser Gesang sie statt in eine festliche, in eine komatöse Stimmung versetzt. Die Stille wurde bloß von unregelmäßigem Papiergeraschel unterbrochen.

In diesem Raum gab es viel Papier, das rascheln konnte. Die roten Papiertischdecken, die dazu passenden Papierservietten mit Rentiermuster, die Notenheftchen auf den Tischen zum Mitsingen, die Papierkronen auf unseren Köpfen, die dekorativ gemeinten Papierstreifen an unseren Kerzen, die wir während unseres Auftritts in den Händen hielten.

Die Deckenbeleuchtung im Raum war nicht ausgeschaltet, sodass der Schein unserer Kerzen im Nichts verloren ging und eine festliche Atmosphäre ausblieb. Das billig lasierte Holz der Möbel schien den größten Glanz auszumachen.

Ich fragte mich, ob vielleicht gar nicht unser Gesang die Alten müde machte, sondern ob es die Weihnachtszeit war, die versuchte sich hier im Altenheim einen Platz zu suchen. Vielleicht bemerkten sie in dieser Zeit den zu seltenen Besuch von den Liebsten umso mehr. Vielleicht spürten sie die Abwesenheit von schon Gegangenen schmerzlicher. Vielleicht wirkten diese sterilen Räumlichkeiten mit den glänzenden Möbeln umso stiller. Ja, vielleicht war das so. Neben mir trällerte meine Freundin in schiefen Tönen „Oh Tannenbaum“. Vielleicht war unser Gesang doch nicht ganz unschuldig an der Müdigkeit.

Als wir fertig war, legte sich die Stille wie eine schwere Daunendecke über den Raum. Ein Hüsteln hier, ein Schnäuzen dort. Aber dann stand plötzlich eine alte Frau auf. Ihr Haar war dünn, sie trug leicht verwischten roten Lippenstift und hatte einen bunt gemusterten Schal um die Schultern gelegt. Leise, aber mit einer gekonnten Klarheit stimmte sie einen Ton an und begann „Stille Nacht, heilige Nacht“ zu singen. Alle starrten sie an. Meine Papierkrone rutschte mir vor Überraschung über die Augen. Dann stand ein Mann mit grauer Halbglatze und Morgenmantel auf, setzte sich an das Klavier, das am Rand der Bühne stand und begleitete die Frau mit zittrigen, aber geübten Fingern. Nacheinander stimmten die Alten mit ein. Wir konnten hören, dass viele von ihnen sicher einmal in einem Kirchenchor gesungen hatten. Ihre Stimmen waren so sicher, als hätten sie diesen Auftritt seit Monaten geübt. Ich ging zum Lichtschalter und schaltete das Licht aus. Der Glanz der Möbel machte Platz für unseren Kerzenschein. Ja, vielleicht machte die Weihnachtszeit die Alten müde. Ja, vielleicht auch einsam. Und ja, gewiss nostalgisch. Aber trotzdem ließen sie es sich nicht nehmen, ihr eigenes Fest daraus zu machen, dem wir Kinder bloß mit leicht geöffneten Mündern und großen Augen lauschen konnte.

 

Ein Etwas und ein Gast

Eine Erzählung.

Es kommt vor, dass wir Jemanden auf Etwas aufmerksam machen müssen, was uns unangenehm, von dem wir aber wissen, dass es richtig ist. Wenn wir uns dann überwinden dieses Etwas auszusprechen, gibt es drei Möglichkeiten, wie unser Gegenüber damit umgeht. Er schenkt uns ein verständnisvolles Lächeln mit einem begleitenden Nicken. Er beginnt wütend zu diskutieren und beleidigt uns mit Etwas, was nichts im Entferntesten mit unserem Etwas zu tun hat.

Oder aber er dreht sich ohne ein Wort ganz einfach um und lässt uns mit dem nagenden Gefühl stehen, einen Menschen zutiefst verletzt zu haben, sodass wir vergessen, dass wir unser Etwas doch eigentlich als richtiges Etwas empfunden haben. Wenn es uns dann wieder einfällt, erzählen wir jedem davon, der uns über den Weg läuft, um unser Gewissen zu beruhigen, indem wir immer wieder nach Worten haschen, wie: „ Ja, da hast du alles richtig gemacht – du warst doch im Recht.“

Mein Nachbar gehörte zur dritten Variante. Er ließ mich stehen und sprach bis zu seinem Tode kein Wort mehr mit mir. Er sprach nicht mit mir, wenn wir uns im Treppenhaus begegneten. Er sprach nicht mit mir, wenn wir uns vor dem Haus begegneten. Er sprach nicht mit mir, wenn wir uns im Supermarkt begegneten. Seine dröhnend laute Stimme hatte die Sprache verloren.

Begegnet waren wir uns das erste Mal, einige Tage nachdem ich eingezogen war, vor meiner Wohnungstür, als ich gerade fegte. Seine dröhnende Stimme ging voraus und schüttelte mir den Kopf, bevor er mir die Hand schüttelte. Ein leichter Schnapsgeruch, eine gerötete Knollennase, kleine lachende Augen. Ich hatte kein gutes Gefühl. Damals lebte seine Frau noch. Groß, stark geschminkt, ein liebevoller Blick. Ich hatte ein gutes Gefühl.

Sein erstes Klingeln an meiner Tür ließ nicht lange auf sich warten und das Etwas schaute schon schüchtern um die Ecke. Das Klingeln wurde zu einem regelmäßigen Gast, den ich nicht ignorieren konnte, weil meine kleine hellhörige Wohnung es mir unmöglich machte, eine Abwesenheit vorzutäuschen. Das Etwas gesellte sich jedes Mal dazu und versteckte sich hinter meinem Rücken.

Manchmal sprach er zwei Sätze über die Wetterlage und machte sich auf den Weg. Einige Male sagte er bloß: „Geh doch mal raus, lernen kannst du, wenn das Wetter schlecht ist.“ Und andere Male, wünschte er mir bloß einen Guten Morgen. Dann starb eines Tages seine Frau und das Klingeln wurde von einem gewohnten Gast zu einem täglichen Gast, der sich in der Luft meiner Wohnung so breit machte, dass meine Wohnung zu schrumpfen schien. Er versteckte seine Traurigkeit hinter seinem Rücken und ich versteckte das Etwas hinter meinem Rücken.

Es traute sich hervor, nachdem der tägliche Gast am neunten Tag in Folge um 8 Uhr morgens meine Wohnung weiter schrumpfen ließ. Nachdem das Etwas raus war und ihn bat, meine Ruhe und Privatsphäre zu respektieren und den Gast nicht mehr täglich auf Besuch zu schicken, kam auch seine Traurigkeit hinter seinem Rücken hervor und er ließ mich stehen. Nachdem er mich durch seine fehlende Sprache zum Feind deklariert hatte, beschäftigte mich das nagende Gefühl und ich fragte mich, ob ich das Etwas nicht sensibel genug formuliert hatte. Ich fragte mich, wie ein Mensch, den ich nicht einmal leiden konnte, mir das Gefühl vermitteln konnte, eine Verantwortung ihm gegenüber zu haben. Ich fragte mich, wann man eine Verletzung seiner persönlichen Grenzen hinten anstellen sollte. Ich stellte mir diese Fragen immernoch, nachdem mein Nachbar bereits verstorben war. Doch meine Wohnung hatte wieder ihre ursprüngliche Größe und das Etwas strich mir beruhigend über den Kopf während es mir zulächelte.

Einige Gedanken zum Thema „Persönliche Grenzen.“

 

Neues im Shop

Neben der Illustration ist die Arbeit mit Modelliermasse eine beglückender Abwechslung. Im Frühling dieses Jahres sind acht kleine Wandobjekte zum Aufhängen entstanden.

Die frühlingshaften Pastelltöne haben sich in der Gestaltung ausgelebt. Alle Objekte sind handgefertigt und Unikate. Sie wurden aus lufthärtender Modelliermasse geformt, im Ofen erhitzt, getrocknet und mit wasserabweisender Acrylfarbe bemalt. Zum Schluss wurden sie für einen zusätzlichen Schutz lasiert. Sie alle sind im Onlineshop zu kaufen.

Es war einmal

Eine Erinnerung an den Geschichtenerzähler Manfred Steffen.

Stimmen sind immer da – Stimmen, die uns vertraut sind, die uns nah sind, die uns fern sind, die uns fremd sind. Die Stimme des Kindes, die uns morgens viel zu früh höflich aus dem Bett schreit. Die Stimme des Radiomoderators am Frühstückstisch. Die Stimme des Nachbarn, die unaufgefordert durch die Wand dringt. Die Stimme des Partners, die uns eingeübt an den Haustürschlüssel erinnert bevor wir das Haus verlassen. Die Stimme des Autofahrers neben uns, die den Fußballspielern im Radio zubrüllt, sie sollen doch, verdammt nochmal, den Ball nach vorn spielen. Die Stimme der Zugdurchsage. Die Stimme der Verkäuferin, die uns höflich fragt, ob wir nun eine Brezel mit oder ohne Salz wünschen. Die Stimme des Arztes, die uns mitteilen muss, dass sie nichts mehr tun könne. Die Stimme der Mutter, die uns sagt, dass alles wieder gut wird. Die Stimme des Anrufbeantworters. Die Stimme des Physiotherapeuten, der beschwichtigt, dass es nur noch einmal knacken wird.

Stimmen bewegen uns jeden Tag – manchmal bewusst, manchmal unbewusst.

Es gibt Stimmen, für die wir uns bewusst entscheiden. Die uns begleiten, seit wir Geschichten verstehen. Stimmen, die uns diese Geschichten erzählen – immer wieder auf dieselbe Art und im selben Ton. Ohne, dass es uns langweilt. Denn sie bringen uns in die Welten zurück, in denen wir als Kinder unsere Abenteuer erlebt haben. Das tun sie sobald wir das Spulen einer Kassette hören, das Drehen einer CD, das Knarzen einer Schallplatte.

„Es war einmal…“ Es war einmal ein Geschichtenerzähler, der meine Kindheit mit seiner Stimme begleitet hat. Der mich zu Tränen gerührt; mich bei Kummer getröstet; mich zum Lachen gebracht und der mir Gesellschaft geleistet hat, wenn ich krank im Bett lag. Geschichtenerzähler schenken uns ihre Stimme ein Leben lang. Meist wissen wir nicht einmal, wie diejenigen ausgesehen haben oder wer sie überhaupt waren, deren Stimmen Teil unserer Kindheit wurden. Aber vielleicht würde es auch den Zauber nehmen. Denn, was Stimmen Geschichten geben können, kann man manchmal nur als Zauber bezeichnen, weil einem selbst die Worte fehlen.

Reibekuchen und Marie

Eine Erzählung

Jeder Tag hatte für ihn denselben Rhythmus – seit nun 58 Jahren. Um 14 Uhr schalteten sich die Lichter ein und er begann zu kurbeln. Um 23 Uhr wurden die Lichter gelöscht und er hörte auf zu kurbeln. Doch erstaunlicherweise langweilte es ihn nicht. Er stand an seinem Platz und drehte die Kubel. Drehte, drehte und drehte. Die Musik übertönte die Lautsprecher, wehte um die Essensstände, befeuerte die Spielbuden und kam wieder zu ihm zurück. Manchmal fragte er sich, ob er bloß genügsam oder nur nicht mutig genug gewesen war. Er gehörte zu den Menschen, die bei der Frage „Und, was gibts Neues?“ antworteten „Alles gut. Alles wie immer“, ohne Schuldgefühle fehlender Abenteuerlust zu haben. Vielleicht lag es an den aufgerissenen Augen der Kinder, die mit offenen Mündern vor ihm standen und rätselten, wie die Musik wohl in diesen Holzkasten kam.

Vor ihm hatte sein Vater an diesem Platz gestanden und in die Kinderaugen geblickt. Wie stolz er gewesen war, als sein Sohn ihn das erste Mal begleitete. Ihm hatte sein Vater damals das Geheimnis des Kastens verraten, aber den Kindern verriet er es nicht. Es gefiel ihm, ein Geheimnis zu haben und den Kindern ihr Rätsel zu lassen. Das Rätsel und er waren geblieben, aber alles andere war damals noch anders gewesen. Die Farben der Buden waren nicht so bunt, die Lichter nicht so grell und die Lautsprecher knackten immerzu. Und Marie war da. Gegenüber saß sie an der Apfelbude und half ihrer Mutter Äpfel an Holzstielen in warme Schokolade zu tauchen, die dann trocknete und so wunderbar zwischen den Zähnen knackte. Wie oft war er mit Marie zwischen den Buden herum spaziert. Und bei jedem Spaziergang waren sie ein Stückchen gewachsen – bis sie groß genug waren, um auch draußen herum zu spazieren, um Händchen zu halten, um sich zu küssen, um gemeinsam einzuschlafen und gemeinsam aufzuwachen. 43 Jahre lang. Aber er fühlte sich bis heute nicht groß genug, um nicht mehr gemeinsam mit ihr aufzuwachen. Dafür würde er nie groß genug werden.

Die Bude, an der es Reibekuchen gab, war ihre Lieblingsbude gewesen. Jeden Tag aßen sie einen Reibekuchen in ihrer Pause. Außen die knusprige Kruste, innen die weiche warme Masse. Mittlerweile gab es keine Bude mit Reibekuchen mehr. Anstatt der Reibekuchen gab es Gyros, Pizzastücke und Fruchtsäfte. Ihm fehlte der Duft der Reibekuchen. Auch die Apfelbude war nicht mehr da. Stattdessen hingen überall Zuckerherzen in allen Größen und Farben, die mit Worten wie „Mein Schatz“ oder „Weltbester Papa“ verziert waren. Selbst seine Musik klang anders als damals. Sie bespielte nicht mehr das, was sie gekannt hatte. Es kam ihm manchmal so vor, als sei sie schüchtern geworden. Als hätte sie leicht die Orientierung verloren und würde wie ein verloren gegangenes Kind ziellos über den Platz taumeln. Vielleicht vermisste sie den Duft der Reibekuchen auch, die Äpfel in Schokolade und natürlich Marie. Marie, die sich zu seiner Musik gedreht hatte – auf der Stelle immerzu, wie ein Kreisel.

Die Lichter gingen aus, es war 23 Uhr. Er sah der Menschentraube hinterher, die Richtung Ausgang lief. Jugendliche, junge Paare, alte Paare und Kinder. Eines der Kinder winkte ihm. Er winkte zurück und lächelte in seinen Bart. Heute abend würde er sich Reibekuchen Zuhause backen.

 

Aus dem Gleichgewicht

Eine Erzähung. Eine Erinnerung.

„Schau immer zum Horizont, wenn es dir schwindelig wird, denn wenn du dich mit dem Auge an etwas festhältst, was unbewegt bleibt, verlierst du nicht das Gleichgewicht“, sagte mein Großvater zu mir, als ich das erste Mal auf einem Schiff mitfahren sollte.

Daran dachte ich, als wir die Wohnung leer räumten, in der meine Großeltern über 50 Jahre lang gelebt hatten. Mein Großvater war oft aus dem Gleichgewicht geraten. Wenn ein Radfahrer auf der falschen Seite fuhr, schrie mein Großvater ihm lauthals einen Fluch hinterher, sodass nicht nur er, sondern auch der Radfahrer aus dem Gleichgewicht geriet. Wenn im Abendprogramm ein trauriger Film lief, wischte sich mein Großvater umständlich die Tränen aus den Augenwinkeln in dem Glauben, niemand hätte es bemerkt. Wenn er wegen einer Unachtsamkeit gegen mich beim Schach verlor, fegte er die Figuren vom Brett und redete erst wieder, nachdem das Schachspiel im Schrank verschwunden war. Diese Ungleichgewichte bemühte er wieder ins Gleichgewicht zu bringen, indem er Aufgaben mit einer akribischen Sorgfalt und Ruhe erledigte. Zum Beispiel das maßgenaue Schneiden der abendlichen Butterbrote in mundgerechnete Stücke; das Komprimieren von sperrigem Verpackungs- und Papiermüll oder die Ausdauer für Kreuzworträtsel.

Die Kreuzworträtselhefte fand ich sauber gestapelt im Regal. Ich strich über die vertraute energische Schrift, deren Buchstaben den Eindruck machten, als hätten sie es eilig. Einige der Kreuzworträtsel waren nicht fertig gelöst worden. Ich setzte mich an den Tisch und nahm mir einen Stift.

Mein Großvater fuhr mit 16 Jahren das erste Mal zur See. Auf dem Foto, das bei seinem Einzug in die Marine aufgenommen wurde, blickten seine hellblauen Augen unsicher in die Kamera. Er wurde nach Frankreich geschickt und kam wieder nach Hause. Seine drei Brüder wurden nach Russland geschickt und kamen nicht wieder nach Hause. Angst habe er gehabt, erzählte er mir, besonders als er vom 10 Meter Brett springen musste. Hinter ihm hatten bereits so viele Kameraden gewartet, dass er nicht mehr zurück konnte. Also schloss er die Augen und sprang. Das war die einzige Angst, von der er mir erzählte. Die anderen Ängste behielt er für sich und sprach sie erst aus, nachdem sein Gedächtnis sie nicht mehr zurückhalten konnte und er das Gleichgewicht auf eine neue Art verlor.

In der Küchenschublade, in der Gummibänder, Tupperdosendeckel und Gefrierbeutel durcheinander fielen, fand ich viele kleine Notizzettel, auf denen einzelne Wörter, Telefonnummern und Sätze standen, wie „Schlüssel am Schlüsselbrett“, „Bäcker öffnet um 7 Uhr“, „Herdplatte“ oder „Bügeleisen ausstellen“.

Mein Großvater hatte mir mehr als einmal einen kleinen blauen Fleck auf seiner Hand gezeigt und stolz verkündet, er habe auch ein Tattoo. Während seiner Zeit auf See hatte er die anderen Marinesoldaten mit Ankern, Fischen oder verschnörkelten Namen der Verlobten verziert. Er hatte immer schon gut zeichnen können und hatte ein Auge für Formen und Farbe. Vielleicht war er deshalb nach den Kriegsjahren auch Schreiner geworden. Trotz des Krieges war mein Großvater noch gerne Boot gefahren. An zahlreichen Wochenenden sind wir gemeinsam in Ruder- oder Tretbötchen über kleine Seen und Weiher getrieben und schauten still ins Wasser, zu den Bäumen, in den Himmel.

Ich sah ein letztes Mal von der Straße aus hoch zum großen Fenster des Wohnzimmers. Dort hatte mein Großvater jedes Mal gestanden, wenn ich mich auf den Heimweg machte. Am Ende der Straße hatte ich mich noch einmal umgedreht und er hatte mir zugewunken. Jedes Mal ohne Ausnahme. Selbst aus dem Krankenbett hatte er mir zugewunken. Ein letztes Mal. Ich sah lange, sehr lange, hinauf. Denn wenn man das Gleichgewicht verliert, braucht man etwas, woran das Auge sich festhalten kann.

 

 

Ein unbesiegbares Ungeheuer

Einige Gedanken.

Als ich fünf Jahre alt war, sollte in meinem Kindergarten „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ als Theaterstück aufgeführt werden. Schneewittchen hatte ich nie besonders gemocht. Die Prinzessinnen aus den Märchen waren mir immer zu brav, zu tugendhaft, zu gerade. Ich mochte die schiefen Figuren. Die, die vom Weg abkamen, die frech waren und einen überraschten. Rumpelstilzchen, der böse Wolf, die Hexe im Lebkuchenhaus. Aber als einziges Kind im Kindergarten mit schwarzen langen Haaren, heller Haut und introvertiertem Gemüt wurde ich automatisch zum Schneewittchen. Um die Rolle höflich abzulehnen war ich zu schüchtern. Lieber wäre ich ein Baum gewesen. Teilhaben, aber aus dem Hintergrund.

Auch in meiner Arbeit wäre ich gerne ein Baum, aber die Selbstständigkeit ist ein Stück, in dem man unumgänglich die Hauptrolle übernehmen und sich dem Ungeheuer stellen muss. Das Ungeheuer ist nicht das Publikum, sondern die Ungewissheit. Die Ungewissheit, ob die eigene Arbeit den Betrachtern gefallen wird. Die Ungewissheit, ob man verstanden wird. Die Ungewissheit, ob man von dieser Arbeit leben kann. Die Ungewissheit, ob man die richtige Entscheidung getroffen hat. Und hilflos müssen wir dann feststellen, dass wir gegen ein Ungeheuer kämpfen, dass unbesiegbar ist, denn die Ungewissheit ist ein Teil der Arbeit.

In den Märchen ist das Gute immer gut und das Böse immer böse. Schneewittchen wird nicht zugetraut, dass sie ihrer Stiefmutter mal ordentlich den Kopf wäscht und der Stiefmutter, dem alten Drachen, wird nicht zugetraut, dass sie in ihrer Eitelkeit einen Schritt zurücktritt und die Bühne mit ihrer Stieftochter teilt. Aber wir wissen, dass das Gute und das Böse Märchen bleiben. Wie langweilig es doch wäre, wenn wir die Ungeheuer immer bezwingen müssten, anstatt sie zur Abwechslung zum Kaffee einzuladen, um sie besser kennenzulernen.

„Künstler zu werden besteht zum großen Teil darin, dich selbst anzunehmen , was deinem Werk einen persönlichen Charakter verleiht, und deiner eigenen Stimme zu folgen, die dein Werk einmalig macht.“ (Kunst & Angst von David Bayles & Ted Orland)

 

Nach Überall

Eine Erzählung.

Wenn man Kind ist, gibt es drei Gründe, sich zu verstecken. Weil man Angst hat. Weil man spielt, dass jemand anderes einen suchen muss. Weil man von allem die Nase voll hat. Bei ersterem und letzterem scheint es meist überall besser zu sein, als da, wo man gerade ist. Aber weil man nicht einfach nach Überall gehen kann, denkt man sich nach Überall. Und sich nach Überall zu denken geht am besten an dunklen Orten. Unter einem Bett, auf dem eine extra breite Überdecke liegt. In einem alten Kleiderschrank, dessen Holz leise knarzt. Auf dem Dachboden. Unter einer Treppe, nachdem man die Spinnen verscheucht hat. Hinter schweren Gardinen, unter denen nur noch die Zehen hervorschauen. Überall ist ein wunderbarer Ort.

In meiner Kindheit habe ich ihn von meinem mit Tüchern verhangenen Hochbett aus bereist. Ich besuchte Ritter in ihren alten Burgen, schwamm mit Meerjungfrauen am Meeresgrund, kochte mit Hexen im tiefen Wald und wohnte in Häusern hoch über den Wolken.

Wenn man erwachsen wird, ist das Überall nicht mehr derselbe Ort. Die Verbindung wird schlechter, wie wenn man tief im Wald versucht zu telefonieren. Man hört noch ein paar einzelne, meist undeutliche, Wörter, bis die Leitung still wird und die Ansage „Ihre Verbindung wird gehalten.“ ausbleibt. Ich würde mich gerne wieder mit Überall verbinden lassen und jedes Wort klar hören können. Denn nur weil man erwachsen ist, bedeutet das nicht, dass man keine Angst mehr hat oder an manchen Tagen nicht von allem die Nase voll hat. Ich habe oft Angst oder die Nase voll. Und was wäre in so einer Situation ermutigender als ein paar Ritter, die dich an die Hand nehmen?

 

Auch unsichtbare Orte sind liebenswert

Einige Gedanken.

Bahnhöfe sind Orte der Begegnung und Orte der Anonymität zur selben Zeit.

Wir verbinden Bahnhöfe mit Romantik, mit Nostalgie, mit Abenteuerlust, mit Fernweh. Umso trauriger ist es, dass diese Orte, die wir mit so vielen Gefühlen verbinden und an denen wir uns so häufig aufhalten, meist so vernachlässigt werden.

Anstelle der Romantik weht uns der beißende Duft von Urin entgegen. Anstelle nostalgischer Eleganz sind Wände, Bänke und Böden mit Kaugummis und anderem Dreck überzogen. Anstelle von Abenteuerlust hat man einzig den Drang so schnell wie möglich von diesem Ort wegzukommen, der einem das Warten auf den Zug noch unerträglicher zu machen scheint.

Wieso fällt es den Menschen so schwer gerade die Orte, an denen wir uns so viel und lange aufhalten müssen, mit Respekt zu behandeln?

Wieso werden die Bemühungen, Orte schöner zu gestalten, so gleich wieder mit Füßen getreten und verschandelt?

Wieso verspüren so viele Menschen kein Verantwortungsgefühl gegenüber öffentlichen Orten?

Bahnhöfe und Bahnstationen könnten so wunderbare Orte sein, an denen man gerne warten würde. Orte, an denen man nicht gleich in Verzweiflung gerät weil man eine Stunde auf den Anschlusszug warten muss. Aber traurige Orte werden leider nicht gesehen. Sie werden unsichtbar hinter ihrer Schicht aus Schmutz und Vernachlässigung.

Also bleibt einem nichts anderes übrig, als die Augen zu schließen und sich diese Orte vorzustellen, bevor sie als nicht liebenswert erklärt wurden. Doch wer weiß… vielleicht wird es eine Zeit geben, in der ein kleines Loch in der Schmutzschicht entsteht und sich mehr Menschen ihrer Chance bewusst werden, unsichtbare Orte wieder in vollem Glanz erstrahlen lassen zu können.

 

Neues im Shop

Ich habe mich sehr gefreut, als ich festgestellt habe, dass vor einer ganzen Weile Sticker in der Beliebtheitsskala wieder gestiegen sind. Wer erinnert sich nicht an die Tage, an denen man mit dem Stickeralbum bewaffnet über den Schulhof gelaufen ist, um seine Sammlung zu vergleichen oder Motive zu tauschen. Ein Album voll zu bekommen habe ich allerdings nie geschafft.

Um mich freudig in Nostalgie zu suhlen, habe ich meinen Online Shop mit vielen bunten Aufklebern bereichert, die ich aus meinen Illustrationen zusammengeklaubt habe.

Das Design der heutigen Zeit wird immer reduzierter, immer schlichter, immer unpersönlicher. Wieso also nicht kleine aufklebbare Wesen nutzen, um Unpersönlichkeiten wie Notebooks, Kalender, Kühlschränke oder Fahrräder mehr Persönlichkeit zu schenken?

Weihnachten und eine Lücke im Raum

Jedes Jahr werde ich ein bisschen traurig, wenn die Weihnachtszeit zu Ende geht. Diese ganz besondere Atmosphäre, die so viele Kindheitserinnerungen weckt und so wunderschöne Rituale mit sich bringt. Der Duft von Keksen und Zimt wabert durchs Haus, das Räuchermännchen pafft fröhlich vor sich hin und überall tanzen kleine Lichter. Und das Beste ist, zur Weihnachtszeit kann man seiner heimlichen Liebe für Kitsch nachgehen, ohne dass man sich schämen müsste.

Ich bemühe mich jedes Jahr so viel wie möglich selbst zu basteln, zu backen und zu gestalten. Das Wintergrün sammeln wir beim Spazierengehen, woraus sich wunderschöne Kränze zum Verschenken zaubern lassen. Ohnehin ist Weihnachten eine wunderbare Möglichkeit selbstgemachtes zu verschenken. Kekse, Marmelade, Gewürze, Christbaumschmuck…

Auch ist eines meiner wichtigsten Rituale jedes Jahr beim Backen die Weihnachtsgeschichten von Astrid Lindgren anzuhören, am liebsten die, die von Manfred Steffen gelesen werden. Seine Stimme holt mich jedes Mal in meine Kindheit zurück.

So warm die Kindheitserinnerungen auch sein können, so sehr kann es auch schmerzen, wenn man realisiert, dass Weihnachten nicht mehr dasselbe ist, wie es einmal war. So ist Weihnachten auch immer eine Zeit, in der man viel über die Vergänglichkeit nachdenkt. In der plötzlich geliebte Menschen fehlen, die Weihnachten in der Kindheit zu dem gemacht haben, wie wir es in Erinnerung halten. Weihnachten sollte im Jahr nicht die einzige Zeit sein, in der man bewusste Familienzeit verlebt, und doch ist Weihnachten nunmal die Zeit, in der die Familie am stärksten im Vordergrund steht.

Weihnachten wurde bei uns bereits ein anderes, als mein Opa nicht mehr da war. Einige Zeit darauf war auch meine Oma gegangen und die Wohnung, in der wir fast jedes Jahr Weihnachten gefeiert haben, war auch nicht mehr. Alles, das geht, hinterlässt eine Lücke, die still neben einem sitzt. Diese Weihnachten saß eine noch größere Lücke zwischen uns.

Die Eltern prägen Weihnachten für uns wie niemand sonst. Sie legen den Grundstein, als was wir die Weihnachtszeit empfinden. Mein Bruder und ich hatten das wunderbare Glück, dass unsere Eltern die Weihnachtszeit immer zu etwas besonderem gemacht haben, in der wir selbst mit gestalten durften. So haben wir uns als Familie unsere eigenen Weihnachtsrituale geschaffen und mit jedem Familienmitglied verbinden wir andere Erinnerungen an die Weihnachtszeit. Die letzten Jahre habe ich mit meinem Vater immer den Baum geschmückt und wir haben das Hörbuch „Hilfe, die Herdmanns kommen“ dabei gehört, natürlich von Manfred Steffen gelesen, während mein Vater fluchend die Lichterketten entwirrt hat und zwischendurch Lachkrämpfe wegen den Herdmanns bekam. Wenn er Weihnachtsplätzchen backte, dann in einer Menge, die ein 6-Parteien-Haus satt gemacht hätte. Dabei schmetterten die Rat Packs ihre Weihnachtsschlager im Hintergrund. Selbst an dem Weihnachten, an dem meine Eltern und mein Bruder einen Magen-Darm-Virus hatten und ich nach einer kleinen Operation nur auf dem Sofa liegen konnte, schaffte er es eine so gute und ausgelassene Stimmung zu verbreiten, dass dieses Weihnachten mir als eins der Schönsten in Erinnerung geblieben ist – zumal mein Vater uns ein kleines Konzert mit Hilfe seines linken Nasenlochs auf der Blockflöte darbot.

Wenn dieser Mensch dann fehlt, fühlt sich Weihnachten plötzlich nur noch wie ein halbes Weihnachten an. Ein Weihnachten mit einer Lücke, die den ganzen Raum einzunehmen scheint und man spürt, dass diese Lücke nun zu Weihnachten gehören wird – Jahr für Jahr.

Aber was bleibt, sind die Erinnerungen, in denen man die Weihnachtszeit besuchen kann, die noch keine Lücke hatte. In der der ganze Raum noch voller kleiner Lichter war.

Menschen sind erst fort, wenn wir nicht mehr über sie sprechen. Und ein Weihnachtsritual sollte sein, über die zu sprechen, die nicht mehr bei uns sind. Denn so fühlen sie sich gar nicht mehr weit weg an und die Lücke lässt ein paar Lichtern wieder Platz.

In liebevoller Erinnerung an meinen Papa und in Gedanken bei allen, die an Weihnachten einer Lücke im Raum Platz machen müssen.

 

Riechen, Hören, Fühlen

In einer Welt, die technologisch vorwärts zieht wie ein Schnellzug, hat man es als analoge Liebhaberin nicht immer leicht. Als analog Illustrierende noch weniger.

Keine Frage, es ist beeindruckend, welche Möglichkeiten die Technologie auf künstlerischer Seite bringt. Es gibt zahlreiche digitale Werkzeuge, die die analogen Techniken so genau kopieren, dass es heutzutage teilweise unmöglich ist, analoge und digitale Illustration zu unterscheiden. Doch genau hier liegt das Problem.

Digitale Illustration ist weniger zeitaufwendig, also billiger für den Auftraggeber, und schafft es auch noch die analoge Illustration augenscheinlich austauschbar zu machen. So ist die Wahrscheinlichkeit heutzutage sehr gering, dass man als analog Illustrierende, digital Illustrierenden vorgezogen wird. So muss man hoffen, dass es noch genug Auftraggeber und Kunden gibt, die den Wert analoger Arbeiten genug schätzen, um bereit zu sein, mehr zu investieren. Wenn dies nicht der Fall ist, ist man schlichtweg gezwungen, seinen Stundenlohn herunterzusetzen und legt somit den Grundstein für einen allgemeinen Wertverlust analoger Illustration.

Die Welt ist so furchtbar schnell geworden. Ob sie damals auch als schnell wahrgenommen wurde? Fortschritt gab es immer. Aber war auch schon immer die damit entstehende Ungeduld von heute präsent? Alles muss schnell und billig sein. Es geht nicht um den Prozess als solchen; es geht um die Zahlen.

Spricht denn etwas dagegen digital zu illustrieren?

Nein, jeder muss für sich selbst entscheiden, was für ihn handwerklich am besten funktioniert. Aber mir geht es darum, dass der Wert des analogen Handwerks nicht in den Schatten des Digitalen rutscht.

Es hat wohl viel mit der Liebe zur ursprünglichen Kunst zu tun. Mit der Liebe zum Farbenmischen, zum Geräusch des Stiftespitzens, zum Rascheln von Papier, zum Duft von Kreidestiften. Und meiner Meinung nach, sieht man all das in einer analog entstandenen Illustration.

Ich schätze es sehr, wenn der Gebrauch bestimmter Werkzeuge in Bildern erkennbar ist. Wenn sich Collageteile abheben. Wenn sich kleine Farbkleckse verirrt haben. Wenn Kreiden unregelmäßige Flächen ziehen. Die Schönheit des Unperfekten.

Trotzdem empfinde ich die digitalen Mittel als sehr hilfreich, wenn es um die Vorbereitung oder das Nachbearbeiten von Arbeiten geht. Zum Beispiel, um Farbkonstellationen zu testen, Details zu verbessern oder auch Missgeschicke zu retten.

Diese kleine Hymne an die analoge Illustration soll nicht bedeuten, dass ich digitale Illustration in ihrem Können und Wert nicht schätze. Es gibt zahlreiche digital Illustrierende und digitale Werke, die mich inspirieren und die ich beeindruckend finde. Aber ich wünsche mir sehr, dass die analoge Illustration trotz der technologischen Möglichkeiten nie ihren Wert und ihre Anerkennung verliert. Für mich steckt in der analogen Illustration eine Ebene, die die digitale Illustration nicht erreichen kann. Es ist schwer zu beschreiben, doch vielleicht ist es auch nichts, was man mit Worten fassen, sondern etwas, das man spüren muss.

 

Zeit zum Trödeln

Es gibt Jahreszeiten, die uns stärker berühren und es gibt Jahreszeiten, die uns nicht sonderlich bewegen.

Für mich ist der Herbst eine Zeit im Jahr, die ich besonders gerne auslebe. Es ist, als würde der Herbst nach dem lauten, heißen, lebendigen Sommer Ruhe bringen und alles etwas verlangsamen. Die Zeit fängt an ein bisschen zu trödeln.

Es ist die Zeit der Waldspaziergänge, der gestrickten Ringelsocken, der Laubkränze und des fluffigen Kastanienbrotes.

Im Herbst lassen sich nicht nur die Kastanien sammeln, sondern es ist eine wunderbare Zeit auch uns selbst zu sammeln.

Wenn die Zeit trödeln darf, dann dürfen wir das auch.

Eines meiner Rituale ist es, jahreszeitlich passende Filme zu schauen. Ich kann beispielsweise im Sommer nichts weihnachtliches in Filmen sehen.

Eine kleine, aber feine, Marotte.

Filme, die bei mir zum Herbst gehören sind unter anderem: Harry & Sally, Der fantastische Mr. Fox, Harold & Maude, Email für dich, Die Nacht vor der Hochzeit, Miss Marple (Margaret Rutherford), Frances Ha, Coraline, Meerjungfrauen küssen besser und wer es gerne trashig kitschig mag: Es begann im September.

 

Grashalme beobachten

Tiere können unser Leben auf magische Weise bereichern. Sie sind Freund, Begleiter und manchmal sogar Spiegel.

Wir erträumen uns gerne einen kleinen Hof mit Hühnern, Ziegen und einem Hund. Für den Hund haben wir uns bereits jetzt entschieden.

Unsere Molly – benannt nach Jim Knopfs kleiner Lokomotive – hat mit ihren 1 1/2 Jahren noch nicht viel von der Welt gesehen, genau genommen so gut wie gar nichts außer ihrem Zwinger und anderen portugiesischen Hunden.

Sie lebt den Trend der Achtsamkeit in vollen Zügen. Jede Biene, jeder Grashalm, jeder Fuß wird genauestens inspiziert, still beobachtet und dann wieder gehen gelassen.

Ihre Sprache lernen wir Tag für Tag genauer kennen. Manchmal ist es erfrischend und manchmal ist es frustrierend so wenig mit verbaler Sprache zu erreichen. Wir sind es nicht gewohnt uns unserer Körpersprache bewusst zu machen. Umso aufregender ist es zu beobachten, wie bedeutend kleine Gesten mit Hand, Kopf oder Fuß sein können.

Molly ist nun unser Lehrer und als Gegenleistung zeigen wir ihr die Welt Grashalm für Grashalm.

 

Orte, die Geschichten erzählen

Der Arbeitsplatz ist normalerweise der Ort, an dem in der Illustration Welten entstehen, Wesen geboren und Geschichten erzählt werden. Es sollte also ein    Ort sein, an dem man 8 Stunden am Tag sein möchte und nicht das Gefühl hat, dazu gezwungen zu sein.

Ein Ort mit viel Licht, Klarheit, Stille und Ausblick.

Ich habe durch meinen Arbeitsraum in unserem neuen Zuhause einen Vergleich zu meinem alten Arbeitsraum bekommen. Nun verstehe ich, wieso so oft das Gefühl präsent war, dass ich nicht weiterzukommen scheine in dem, was ich tue. Ich war häufig unzufrieden, frustriert und unruhig.

Wenn essentielle Bedingungen dem Arbeitsraum fehlen, kann das einen großen Einfluss auf die Motivation, die Konzentration und die Intuition während der Arbeit nehmen. Es ist eine kleine Reise zu erkennen, welche Bedingungen man selbst braucht, um so arbeiten zu können, wie man es sich wünscht. Dafür muss man seinen Raum zunächst kennenlernen und Stück für Stück ergründen, was er für einen bereit hält.

Mir macht es zudem große Freude all die Dinge, die sich in meinem Raum befinden, streng zu ordnen. Ich habe mir angewöhnt, alles zu beschriften, denn man unterschätzt, wieviel Zeit das Suchen Tag für Tag in Anspruch nimmt.

Mein Raum ist so alt, dass er mir viele Geschichten erzählen kann, während ich arbeite. Geschichten von Menschen, die in ihm gewohnt haben. Geschichten von Tieren, die heimlich in ihm gewohnt haben. Geschichten von Stimmungen und Atmosphären, die ihn geprägt haben.

Ich bin unbeschreiblich dankbar für mein neues kleines Universum.

 

Geduld

Der Beginn der Selbstständigkeit ist mit vielen Gefühlen verbunden. Angst, Nervosität, Selbstzweifel, Ungeduld.

Leider gehört es meist auch dazu, dass man immer wieder in direkte oder indirekte Gespräche gerät, durch die diese Gefühle noch befeuert werden.

„Hast du denn schon viele Aufträge?“ „Du kannst dich noch nicht selbst finanzieren?“ „Wieviel verdienst du denn damit?“ Und dabei wird dann noch eine Augenbraue abschätzig hochgezogen.

Solche Gespräche geben uns schnell das Gefühl, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben; dass es nicht normal ist, wenn man nicht von Anfang an Geld verdient; dass es von Beginn an Anfragen regnen sollte, weil es ja andernfalls bedeutet, dass sich niemand für unsere Arbeit interessiert.

Kurz: Wenn du mit deiner Entscheidung nicht von vornherein Anklang findest und Geld verdienst, ist deine Arbeit nicht gut.

Das ist die Aussage, die unser Kopf aus den beschriebenen Fragen macht. Unser Rucksack der Unsicherheit wird weiter voll gepackt. Aber das Tragische dabei ist, dass die Menschen, die uns so sehr verunsichern, diejenigen sind, die sich noch nie mit der Laufbahn im kreativen Bereich auseinandergesetzt haben. Die weder wissen, dass es absolute Normalität ist, dass die ersten Jahre einer Selbstständigkeit Aufbau und Entwicklung bedeuten, bis man einen Kundenstamm aufgebaut und auf sich aufmerksam gemacht hat, noch, was es bedeutet, sich in einer Welt kreativ selbstständig zu machen, die vor kreativen Selbstständigen nur so über zu quellen scheint. Wir lassen uns von Menschen verunsichern, die glauben, etwas bewerten oder verurteilen zu können, womit sie nie in Kontakt gekommen sind; die nicht einmal unseren Arbeitsalltag kennen oder danach fragen. Das ist traurig.

Und dabei vergessen wir aber, dass Gefühle, wie Angst, Nervosität und Zweifel nicht die einzigen Gefühle sind, die den Beginn der Selbstständigkeit begleiten. Denn die Selbstständigkeit ist etwas, wofür man sich bewusst entscheidet. Etwas, das mit einer persönlichen Leidenschaft und Motivation verbunden ist. Etwas, von dem wir glauben, dass es uns erfüllen wird. Und genau das sollte in unserem Kopf in den Fokus rücken, wenn wir uns mal wieder dabei ertappen, uns vor Nicht-Wissenden zu rechtfertigen.

Vielleicht rechtfertigen wir uns gerade bloß vor Menschen, die von ihren Eltern mit dem Glaubenssatz erzogen wurden: „Nur durch einen soliden Beruf, mit dem du viel Geld verdienst, bist du etwas wert.“

Und es ist nicht unsere Aufgabe uns mit Glaubenssätzen herumzuschlagen, die nicht zu uns gehören.

Ich bin jeden Tag dankbar dafür, dass ich mich für so einen wunderschönen Beruf entscheiden durfte und meine Eltern immer hinter mir standen. Ich bemühe mich jeden Tag nicht ungeduldig mit mir zu sein, meine Entwicklungen und Entdeckungen auf dem Papier bewusst wahrzunehmen und mich nicht von Außenstehenden aus der Ruhe bringen zu lassen. Meine Tante hat mir einmal gesagt: „Bleib ganz bei dir.“  Das sage ich mir immer, wenn ich mich durch Menschen zum Stolpern bringen lasse. Und es hilft.

Vielleicht ist es unsere Aufgabe den Beruf der kreativen Selbstständigen transparenter zu machen und dabei ganz bei uns zu bleiben – mit viel Geduld und Neugier gegenüber unserer Arbeit und unserer Entwicklung.

 

Skulpturengarten im Kleinformat

Bei schönem Wetter illustriere ich auch gerne im Garten, aber bei Regen und Kälte gehören Modellierarbeiten zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Es ist eine gemütliche Arbeit, bei der sich viel ausprobieren lässt.

Im Studium habe ich immer wieder mit verschiedenen Modelliermassen gearbeitet. Bienenwachs war beispielsweise eine schöne Erfahrung – allein wegen des Duftes. Er lässt sich wunderbar auf der Heizung in einer Schale weich machen.

Bei meinem Projekt „Art of Age“ habe ich dann sehr intensiv mit Plastilin gearbeitet und bin dem auch nach meinem Studium nicht müde geworden. Da ich hauptsächlich mit dünnen Pinseln illustriere, tut die gröbere Handarbeit mit Modelliermasse sehr gut. Es ist wie ein Ausgleich für die Handgelenke.

Plastilin ist lufthärtend, oder lässt sich im Backofen komplett aushärten. Meine Figuren bemale ich in der Regel mit Acrylfarben, da sie wasserabweisend sind. Zum Schluss nutze ich dann eine leichte Lasur, die für Glätte und einen leichten Glanz sorgt.

In die Arbeit meiner kleinen Wesen stecke ich sehr viel Arbeit und Geduld, da viele Trocknungsphasen zwischen den einzelnen Bearbeitungsschritten liegen.

Ich habe mit kleinen Tierfiguren angefangen und mittlerweile entstehen auch kleine Vasen, Schalen und sogar Lampen. In den nächsten Monaten werden viele neue modellierte Artikel in meinem Online Shop erscheinen.

Zudem könnt ihr auch gerne Aufträge für Figuren bei mir in Auftrag geben. Schreibt mir dazu gerne eine Mail an  und wir besprechen eure Idee.

 

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Ankommen

Wie schön, dass du den Weg auf meine Seite gefunden hast! Ich bin Illustratorin aus Köln und lebe mit meinem Partner und unseren drei Schildkröten in einem kleinen alten Haus in Solingen.

Das Jahr 2021 war für mich ein Jahr des Umbruchs. Veränderung, Verlust, Beginn.

Wir mussten uns von einem geliebten Menschen verabschieden, haben ein neues Zuhause gefunden und ich habe meinen Atelier- und Ladenplatz in Köln aufgegeben. Es war also nicht allein eine Veränderung in meinem Privatleben, sondern auch eine Veränderung für meinen Berufsalltag. Mein neues Atelier hat seinen Platz in unserem kleinen wunderhübschen Wintergarten mit Blick in den Garten gefunden. Ein Raum, der nur aus Fenstern zu bestehen scheint. Nie hätte ich gedacht, einmal einen so unglaublichen Arbeitsraum zu finden. Von hier kann ich unsere Schildkröten im Garten beobachten, all den Singvögeln lauschen und am wunderbarsten ist, wenn der Regen auf das Dach des Wintergartens prasselt. Von hier aus werden nun also meine Geschichten auf Papier erzählt und die Produkte für meinen Online Shop entstehen.

Neuigkeiten darüber, Alltagseinblicke und vieles mehr erfährst du jeden Montag auf dieser Seite. Danke für dein Interesse und bis bald!